Radius Curvus

Wird die Wachstumszone des Knochens, die Epiphysenfuge, in irgendeiner Weise beim jungen Tier verletzt oder beschädigt, kann sich der Knochen nicht mehr normal ausbilden. Die Wachstumszone kann aber auch bei gewissen Rassen durch eine angeborene Fehlstellung und die daraus resultierende ständige Fehlbelastung mit der Zeit beeinträchtigt werden. Zwischen dem 4. und 7. Lebensmonat ist das Wachstum der Knochen am stärksten, da in dieser Zeit 90% der endgültigen Gliedmassenlänge erreicht. Der Abschluss des Längenwachstums ist etwa am Ende des 11. Lebensmonats mit dem Schluss der Fugen vollendet. Durch die Verletzung beim jungen Tier kann die Wachstumsfuge aber frühzeitig schliessen und erlaubt dann kein weiteres Längenwachstum mehr. Folglich kann sich der betroffene Knochen verkürzen und eine Fehlstellung wird sich entwickeln. Bei einzelnen langen Röhrenknochen (wie dem Oberarm- oder Oberschenkelknochen) kann ein frühzeitiger Verschluss der einen Wachstumsfuge teilweise durch die zweite Wachstumsfuge am anderen Ende des Knochens kompensiert werden - die Folgen sind dann meistens kaum mehr ersichtlich.

Ganz anders aber verhält es sich am Unterarm. Das Risiko einer Wachstumsstörung ist mit der Speiche (Radius) und der Elle (Ulna) gross. Diese zwei parallel wachsenden Knochen des Unterarms sind auf ein ausgewogenes Längenwachstum angewiesen. Ansonsten kommt es bald einmal zu einer deutlichen Achsenabweichung und Fehlstellung der Gliedmasse, die sehr schnell vom Besitzer festgestellt werden kann. Dazu kommt noch, dass die Epiphysenfuge am unteren Ende der Ulna eine kegelartige Form hat. Diese Form führt bei einem äusseren Trauma zu einer Quetschung der Wachstumszone und nicht wie bei anderen Knochen zu einer Fraktur. So sieht die Fuge zwar unmittelbar nach dem Unfall radiologisch völlig normal aus, verliert aber ihr Wachstumspotenzial und die Folgen werden oft zu spät bemerkt. Nämlich dann, wenn der Knochen bereits eine deutliche Fehlstellung zeigt. Ein dritter negativer Faktor ist, dass die Ulna keine Kompensationsmöglichkeiten hat, da fast das gesamte Längenwachstum von der unteren, kegelförmigen Zone ausgeht, im Gegensatz zu allen anderen Knochen. Die Folgen sind klar: Die Ulna wächst nicht weiter und verkürzt sich. Andererseits möchte der Radiusknochen weiterwachsen. Dies führt zu einer Verkrümmung des Radius, sog. Radius Curvus. Zusätzlich führt das Ganze zu einer Teilverrenkung (Subluxation) der angrenzenden Gelenke im Ellbogen und im Handwurzelgelenk.

Äusserlich sieht man eine Aussenrotation und X-Krümmung des Unterarms. Obwohl sich die Diagnose meistens schon durch die klinische Untersuchung stellen lässt, sind Röntgenaufnahmen indiziert, um das Ausmass der Veränderung zu dokumentieren. Jede Deformation einer Gliedmasse in der Wachstumsphase bedarf der differenzierten Abklärung.

Die Therapie einer Gliedmassendeformierung erfolgt in der Regel auf operativem Wege. Das Ziel besteht darin, den Fehlwuchs möglichst bald und endgültig zu beseitigen. Die Wahl der Operationsmethode hängt entscheidend vom Alter des Tieres, vom Ausmass der Deformation sowie von der betroffenen Epiphyse ab. Wegen der knochenbildenden (osteogenetischen) Aktivität der Epiphysenfugen ist die chirurgische Korrektur so bald wie möglich durchzuführen.

Während beim ausgewachsenen Tier die Fehlstellung festliegt und eine Korrektur in endgültiger Weise vorgenommen wird, besteht beim heranwachsenden Hund die Wachstumspotenz nach der Operation fort und kann zu erneuten Fehlstellungen führen.


Osteotomie der Ulna

Eine Knochendurchtrennung (Osteotomie) der Ulna ist vor allem beim vorzeitigen Schluss der unteren Epiphyse angezeigt. Bei jungen Hunden reicht eine einfache Knochendurchtrennung häufig nicht aus, besser wird gerade ein Stück Knochen auf der Höhe der vorzeitig geschlossenen Wachstumsfuge entfernt (Defekt-Osteotomie). Häufig ist bei diesen Patienten die Fehlstellung noch nicht gravierend und das Wachstumspotenzial der verbleibenden Wachstumszonen noch vorhanden. Bei älteren Hunden mit einer deutlichen Achsenabweichung des Radius wird hingegen die Korrektur-Osteotomie angewendet. Zur Wiederherstellung der physiologische Achse wird ein Knochenkeil entfernt und in korrekter Stellung mittels Knochenplatten fixiert.

Bei starker Wachstumspotenz und für komplexe Fehlstellungen oder Verkürzungen werden auch kompliziertere Eingriffe durchgeführt. So kann bei diesen Hunden nach der Knochendurchtrennung die korrekte Stellung erst über Wochen erreicht werden. Meistens wird dazu ein Ringfixateur eingesetzt. Die durchtrennten Knochen werden mit Drähten, die im Knochen fixiert sind, mit einem äusseren Gestell, welches um das Bein geht und aus mehreren Ringen und Verbindungsstangen besteht, verbunden. Durch das Auseinanderziehen der Ringe von nur wenigen Millimetern an einem Tag wird die gewünschte Korrektur der Fehlstellung allmählich erreicht. Der Vorteil dieser langsamen Korrektur ist, dass sich die Bänder, Muskeln und Sehnen ebenfalls über Wochen an die neue Stellung anpassen können.

Daniel Damur, Dr. med. vet., FVH, Dipl. ECVS Fachtierarzt für Kleintiere und Chirurgie, Tierklinik Masans, Chur, Schweiz

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06.11.2016