Worin unterscheiden sich Pembrokes und Cardigans?

Gedanken eines Laien über das Wesen der Rasse
Von Cleophea Langemann-Lavater

Diese Frage mögen sich wohl manche Interessenten stellen, die sich für den Kauf eines Welsh Corgis entschieden haben.

Wie lässt sich das Wesen der verschiedenen Hundepersönlichkeiten aber herauskristallisieren? Was bedeutet überhaupt wesensmässige Rassenindividualität? Ist nicht jedes einzelne Individuum geprägt durch sein Erbgut, sein Geschlecht, aber ebenso sehr auch durch seinen Entwicklungsgang von der Geburt bis zum Übertritt in Pubertät und Erwachsensein, im Zusammenhang mit den äusserlichen Gegebenheiten? Wie steht es mit guten und schlechten Erfahrungen, die jedes einzelne Hundekind seinen individuellen Fähigkeiten entsprechend verarbeiten und in seinem späteren Hundeleben integrieren muss, im positiven, wie im negativen Sinn?

Umweltgegebenheiten prägen wohl entscheidend spätere Verhaltensweisen. Sie prädestinieren unsere Hunde erst dazu, mit ihren Menschenkumpanen in zweckentsprechenderweise zu kommunizieren.

Dieselben Reflexionen gelten auch für unsere Corgis. Von Haus aus als Treib- und Hütehund klassiert, haben sie heute kaum noch Gelegenheit, ihr instinktmässiges Verhalten des Hütens und Treibens auszuleben, es sei denn, sie rutschen versehentlich auf einer gut bestückten Alpweide aus dem Halsband und preschen mit Begeisterung in eine auseinanderstiebende Rinderherde. Der Versuch, den Cardi wesensmässig zu charakterisieren und damit vom Pembroke abzugrenzen, ist in der Tat nicht einfach. Was für Corgi-Sachverständige Binsenwahrheiten sind, erfuhren wir erst nach Jahren der Gemeinschaft mit Pembrokes und Cardis.

Die Vorgänger der beiden Cardigans, einem Rüden und einer Hündin mit einem Altersunterschied von sieben Monaten, die gegenwärtig unser Haus beleben, waren zwei Pembrokes, die im Lauf von zweiundzwanzig Jahren nacheinander als enge Familienmitglieder bei uns lebten. Beide waren sie in ihrem Wesen grundverschieden.

Ein quirliger, überaktiver, äusserst liebenswürdiger Jedermannshund, jedoch aggressiv andern Hunden gegenüber, der eine. Sein Nachfolger ruhig, bedächtig, nur gelegentlich zum Spielen aufgelegt, freundlich-reserviert gegenüber fremden Hunden und Menschen - Eigenschaften, die auch für jeden Cardi zutreffend sein mögen. Beide wurden entscheidend geprägt durch ihre engste Umwelt. Der erste durch die anregende Gesellschaft der ebenso verspielten, heranwachsenden Kinder, durch einen abwechslungsreichen Alltag, unterbrochen von Ferientagen im Zelt, auf dem Segelboot, beim Wandern, beim Langlauf - Ereignisse, die unser Hund mit überschwänglicher Begeisterung miterlebte.

Sein Nachfolger führte nach dem Erwachsenwerden der Kinder ein unauffälliges, eher stilles Hundedasein, das wohl seinem gemässigten Temperament entgegenkam, aufgelockert durch regelmässige Spaziergänge und den Wochenenden auf dem Land. Auch er war in seiner Art ein typischer Pembroke, intelligent, lernbegierig, liebenswürdig und folgsam. Worin, so muss man sich fragen, lässt sich bei diesen beiden Corgis die typische Wesensart der Pembrokes erkennen?

Beide zeigten, als "Alleinhunde" aufgewachsen, eine an ihre spezifischen "Rudelverhältnisse" eng gekoppelte Entwicklung, die wohl für irgend einen Hund zutreffen dürfte, der mit liebevoller Aufmerksamkeit gehegt und gepflegt wird. In völlig anderen Verhältnissen wachsen heute unsere beiden Cardigans auf. Auf dem Land, abseits eines Dorfes, in einem Landhaus, umgeben von einem weitläufigen, überaus abwechslungsreichen Areal, das zwei unternehmungslustigen, nahezu frei aufwachsenden Hunden täglich neue Attraktionen bietet.

2 Cardigans

Intensives Spiel, wilde Jagden und Balgereien finden nun im zwischenhundlichen Bereich statt, während unser ursprüngliches Spielbedürfnis, dem fortgeschrittenen Lebensalter entsprechend sich in engeren Grenzen hält, was allerdings nicht heisst, dass es an der Bereitschaft zur intensiven Beschäftigung mit den Hunden fehlen würde. Im Gegenteil. Die Zeit der Pensionierung eröffnet ungeahnte, freie Möglichkeiten, die der Ausbildung und Erziehung der Hunde zustatten kommen. So scheint unsere ganze, uneingeschränkte Zuwendung zu den Rudelgenossen, ein gewisses Gewährenlassen in fast unbegrenzter Freiheit, im Wechsel mit der Begegnung mit Hunden jeder Alters- und Rassezugehörigkeit, mit systematischer Erziehung und Ausbildung (oder zumindest dem Versuch dazu) unsere beiden Vierbeiner in gänzlich anderer Weise zu prägen als ihre Vorgänger.

Ob dadurch typische Cardigan-Eigenschaften prägnanter in Erscheinung treten, z.B. die Motivation zum Treiben bei den häufigen Begegnungen mit Kühen, Rindern und Schafen, die stets wache Aufmerksamkeit im eigenen Territorium, die unverkennbare Lernfreudigkeit und Lernfähigkeit, das Fehlen jeglicher Aggressivität gegenüber anderen Hunden, das rückhaltlose Vertrauen, die überschwänglichen Liebesbezeugungen zu den zweibeinigen Rudelgenossen - all dies liesse sich als charakteristisches Verhalten von Cardis werten. Eine konkrete Differenzierung zum Pembroke ist tatsächlich ein schwieriges Unterfangen, einmal abgesehen vom unverkennbaren Habitus.

Um Cardis, speziell die unsrigen zu typisieren, würde ich als erwähnenswert bezeichnen: Anhänglichkeit und Loyalität in der Familie, ungebändigtes Spielbedürfnis, Intelligenz und die vertrauensvolle Arglosigkeit. Faszinierend ist überdies ein unglaublich reichhaltiges Repertoire an Lautäusserungen, welche zusammen mit der ausdrucksvollen "Schwanzmimik" jede Stimmung oder Missstimmung widerspiegelt. Andererseits zeigt sich aber auch im Zusammenleben mit Cardis deren ausgeprägte Eigenwilligkeit bis hin zum Eigensinn, die Tendenz, eine dominierende Rolle spiel zu wollen, sei es auf dem Übungsplatz oder in der Familiengemeinschaft. Ob dies ein Ausdruck besonderer Wesensstärke ist, bleibe dahingestellt.

Den Entschluss, Cardis in unserer Lebensgemeinschaft zu integrieren, haben wir bis jetzt nie bereut, obwohl der Rüde knapp ins Erwachsenenalter gereift und die kleine Hündin noch ein verspielter Teenager ist.

Sie sind ein Quell stets neuer, überraschender Erfahrung und Erkenntnisse über die Eigenschaften dieser so überaus faszinierenden Rasse.

Corgi News Dezember 1994

04.06.2010