Der lange Weg nach Hause
von Bjørn Range

Die Corgi Hündin Wilja und der junge Kater Malvin befanden sich am Ort dieser Welt, wo es ihnen am besten gefiel - in der Hütte beim Meer. Hier konnten sie lange Entdeckungsreisen in den Wäldern machen oder den Stränden entlangwandern und spannende Sachen finden, die an Land gespült wurden. Manchmal gingen sie zusammen und manchmal jeder für sich - Corgis und Katzen haben naturgemäss verschiedene Interessen.

Bald war es Weihnachten und Wilja hatte mehrmals Malvin erzählt, dass es bei dieser Gelegenheit immer so Gutes zu essen gab. "Hier? Jetzt?" fragte Malvin. "Nein, zuhause. Wenn wir nach Hause kommen" gab Wilja jedes Mal zu Antwort. "Können wir jetzt nach Hause gehen?" fragte der junge Malvin. "Ja, bald." "Wann ist bald?" Wilja musste einräumen, dass sie nicht genau wusste, was das Wort "bald" bedeutete. "Wenn Kristin und Ada nach Hause fahren, werden wir gutes Essen kriegen." "Die werden wohl nicht ohne uns fahren und alles selbst essen?". Malvin war plötzlich etwas unsicher. "Oh nein, sie würden uns nie zurücklassen" beruhigte Wilja ihn.

Am Tag, als sie nach Hause sollten, war Malvin spurlos verschwunden. Kristin wanderte in der Umgebung herum und rief nach dem Kater, treu gefolgt von Wilja bis sie es leid wurde. "Warum sucht Kristin nicht nach Malvin, wo er sich üblicherweise aufhält?" wunderte+ sich Wilja. Als Kristin vorübergehend aufgab und zurück zur Hütte ging, benutzte der Corgi die Gelegenheit, selbst nach Malvin zu suchen. Und schon bald fand sie ihn unter ein paar Bäumen nicht weit vom Strand. Dem Kater war ein Zweig unter das Halsband geraten und er konnte sich nicht mehr befreien. "Warum hast du einen Zweig unter dem Halsband?" frage Wilja. "Nein, ich …. also, frag nicht so dumm! Ich sprang nach einer Maus und plötzlich sass ich fest. Kannst du mir helfen?" Der Corgi ging näher und studierte den Zweig, zuerst von oben und dann von unten. Sie hatte sich entschlossen. "Ich werde jetzt den dünnen Zweig hier mit den Zähnen festhalten und daran ziehen so gut ich kann. Dann kommst du frei." Malvin schaute den klugen Corgi voller Bewunderung an. So einfach war es also.


Wilja biss kräftig zu und zog den Zweig immer weiter nach hinten, bis er unter enormer Spannung stand. Und knacks! Mit den Beinen in allen Richtungen flog Malvin in einem weichen Bogen mehrere Meter durch die Luft und landete in einem Gebüsch. Wuuusch! Etwas kleinlaut tauchte er wieder auf. "Nur noch "acht" bemerkte er trocken. Er hatte gehört, dass Katzen neun Leben haben.

Kristin erhielt eine Kurznachricht von ihrer 13 Jahre alten Tochter Ada, die bei ihrer Freundin in einer nahen gelegenen Hütte übernachtete. "Sie fahren bald los. Hol mich!" Kristin wollte die Hütte nicht verlassen, bevor Wilja und Malvin zurück waren. Gleichzeitig wollte sie ihre Tochter nicht beunruhigen und antwortete: "Wenn du die Abkürzung durch den Wald nimmst, kannst du in 20 Min. hier sein." Die Reaktion kam umgehend: "OMG echt?! No way. Kom JETZT!!" "Drei Ausrufzeichen" dachte Kristin. Es gibt also keine Möglichkeit für Verhandlung. Sie machte nochmals eine Runde um die Hütte und rief nach Wilja und Malvin. Ein paar Minuten stand sie still und lauschte. Dann setzte sie sich ins Auto und fuhr auf dem Feldweg nach Westen zur Hütte, wo sich ihre Tochter befand. Wenn sie klug handelte, konnte sie im Laufe einer halben Stunde zurück sein.

Wilja und Malvin erreichten die Lichtung bei der Hütte gerade noch rechtzeitig, um die Rücklichter von Kristins Auto zu sehen, wie sie um die Biegung verschwanden. "Oh nein, sie fahren ohne uns!" dachten beide und rannten so schnell sie konnten in die Richtung, wo das Auto verschwand. Aber das Auto war in der Dämmerung verschwunden. "Vielleicht waren Kristin und Ada es leid, auf uns zu warten und fuhren nach Hause, um das gute Essen selbst zu verspeisen?" frage Malvin. "Was machen wir jetzt?" "Wir werden wohl auch nach Hause gehen" sagte Wilja. "Wir sind diese Strecke ja schon viele Male gefahren - ich jedenfalls - und ich glaube, ich weiss, in welche Richtung wir gehen sollen." Und so machten sie sich auf den Weg, auf dem Feldweg nach Norden. Etwas später kamen sie zur asphaltierten Ortsstrasse, die zur Autobahn führte.

Kristins Wagen rutschte seitwärts im Kies vor der Hütte. Ada wusste nun Bescheid und zusammen verteilten sie das Gebiet rund um die Hütte unter sich. Die Taschenlampen leuchteten im Wald und mit gleichmässigen Abständen riefen sie nach Wilja und Malvin. Gegen Mitternacht rief Kristin die Tochter an und teilte ihr mit, dass sie nun nach Hause müssten. Sie trafen sich beim Auto und stiegen ein, beide erschöpft, verzweifelt und mit Tränen in den Augen. Kristin wandte sich an Ada und wollte sagen: "Hättest du nur … ". Aber ein Blick auf die Tochter brachte sie zum Schweigen. Es hatte keinen Zweck.

Als der Lenker des Lastwagens über einen sanften Hügel fuhr und an Geschwindigkeit verlor, lenkte er den Lastwagen teilweise auf den Seitenstreifen, um dem schneller gleitenden Verkehr mehr Platz zum Überholen zu geben. Es schneite kräftig und die Sicht nach vorn war schlecht. Durch das Schneetreiben sah er plötzlich etwas, das er als einen grossen und kleinen Fuchs vermutete, die in Panik der Leitplanke entlang rannten - und er hatte Kurs direkt auf sie zu! Er konnte den Lastwagen nicht mehr zurück auf die Bahn lenken, weil zwei Autos am Überholen waren. Er drückte auf die Hupe, schloss die Augen für ein paar Sekunden und schrie: "Neeeeiiiiiin!" Er sollte nie erfahren, was geschah.


Malvin wandte sich mit einem Ruck, als er den lauten Ton der Hupe hörte und die grossen Scheinwerfer auf sich zukommen sah! Wie ein Projektil flog er über die Leitplanke, landete zwischen den Bäumen neben der Autobahn und rannte weiter in den Wald. Wilja zitterte und erstarrte zuerst, als sie den gewaltigen Lärm hörte, glitt aber unter der Leitplanke durch eine Sekunde bevor die riesigen Räder des Lastwagens sie erreichten. Sie rollte den Abhang hinunter und blieb erschrocken auf dem Rücken liegen und sah, wie der enorme Lastwagen wenige Meter von ihr entfernt vorbei donnerte. Während einigen Sekunden blieb sie im Dunkeln liegen und kam zu sich. Wo war Malvin?

Wilja fürchtete sich vor der unheimlichen Autobahn - dort war es gefährlich - und hatte Angst, was sie dort oben finden könnte. Darum beschloss sie, zuerst im Wald zu suchen - und schon bald fand sie Malvin vor Angst zitternd in einem Gestrüpp. Nach und nach beruhigte er sich und kehrte zu seinem Selbst zurück. "Wir können unter keinen Umständen auf dieser Strasse weiter gehen" entschied der Corgi. "Wir müssen eine kleinere Strasse finden, die in die gleiche Richtung führt." Bald fanden sie einen Feldweg entlang der Autobahn. Diesem sichereren Weg folgten sie lange, schauten aber immer wieder zurück, um zu sehen, ob unheimliche Fahrzeuge auftauchen sollten. Der Feldweg endete in einem Pfad, der langsam nach Osten und weg von der Autobahn führte. Sie mussten sich entscheiden. "Wir wissen beide, in welcher Richtung wir gehen müssen. Deshalb müssen wir den Pfad verlassen und durch den Wald gehen in der Hoffnung, dass wir bald eine neue Strasse finden", sagte Wilja. Malvin war einverstanden.

Kristin erzählte ihrem Arbeitgeber von Wilja und Malvins Verschwinden und er sagte: "Es ist bald Weihnachten und wir haben zurzeit nicht so viel Arbeit in unserer Branche. Ich habe Verständnis - wir haben selbst Haustiere. Nimm frei und fahre wieder zur Hütte. Sie müssen doch irgendwo sein. Vielleicht sind sie zu einem Hof gekommen und die Polizei wurde avisiert?"

Wilja und Malvin hatten in der Tat mehrere Male versucht, sich einem Hof zu nähern. Aber sie wurden immer von grossen und aggressiven Hunden verjagt. Und so wanderten sie weiter in der Richtung, die sie beide als richtig befanden. Malvin versuchte sich ab und zu als Mäusejäger, aber der junge Kater hatte noch zu wenig Erfahrung mit den schnellen Mäusen. Und so wanderten sie schweigend und hungrig weiter.

Kristin und Ada kehrten zur Hütte zurück und während drei langen Tagen durchsuchten sie das Gebiet rund um die Hütte in immer weiteren Kreisen. Sie riefen auch die Polizei an und andere im Distrikt, die vielleicht etwas wussten. Aber niemand hatte Tiere gesehen, die zur Beschreibung von Wilja und Malvin passten. Kristin sah, wie erschöpft Ada war - sie konnte nicht mehr verlangen. Aber Ada wollte nicht aufgeben, obwohl sie vor Müdigkeit weinte - sie mussten die beiden finden! Zuletzt beschloss Kristin, nach Hause zu fahren und das Beste zu hoffen.

Nach mehreren Tagen ohne Nahrung und in immer tieferem Schnee waren Wilja und Malvin hungrig und erschöpft. Auf dem Weg über ein Feld hielt Malvin vor dem Corgi an und sagte: "Gib mir zu essen. Meine Mama fütterte mich immer" sagte er und schaute hoffnungsvoll auf ihren Bauch. Wilja verstand. Schwach erinnerte sie sich, wie sie vor langer Zeit fünf kleine Welpen geboren hatte, welche sie mit Liebe und Geduld säugte. Und dann verschwanden die Welpen - einer nach dem anderen. Sie schaute Malvin an. "Er ist leer" sagte sie wehmütig. "Es ist nichts mehr da, meine Welpen haben alles erhalten." Sie sah, wie Malvin irgendwie zusammensank. Schweigend gingen sie eine Weile weiter. Wieder stellte sich Malvin vor Wilja. "Trag mich!" verlangte er. "Ich mag nicht mehr weitergehen." Lange sah sie den jungen Malvin an und war sich ihrer schwindenden Kräfte bewusst. "Na, dann komm." sagte sie schliesslich. Wir sind im gleichen Boot, ich werde mich um dich kümmern." Malvin sprang auf den Rücken des Corgis und legte sich zurecht. Er passte sich ihrem Rhythmus an und bald schlief er ein.


So ging Wilja während Stunden mit dem kleinen Malvin auf ihrem Rücken über ein grosses, verschneites Feld. Sie ging immer langsamer mit der extra Last auf ihrem Rücken. Zuletzt ging der Corgi nur noch mit reiner Willenskraft in der Hoffnung, sich und Malvin retten zu können. Aber sie hatte keine Kräfte mehr - sie war am Ende. Sie sank kraftlos in den Schnee. Wilja mit dem grossen Herzen. Bevor sie das Bewusstsein verlor, legte sie sich so zurecht, dass Malvin nicht von ihrem Rücken fallen konnte. Und Malvin schlief nichtsahnend weiter. Nach und nach wurden die kleinen Körper vom dicht fallenden Schnee bedeckt.

"Gibt es etwas, das wir noch nicht getan haben oder etwas, an das wir hätten denken sollen?" fragte sich Kristin gegenüber ihrer Tochter. "Ich wünschte, sie wären wieder hier." Sagte Ada. "Ich habe liebe sie so. Ich werde nie mehr sagen, dass ich nicht wieder mit ihnen Gassi gehen will. Ich verspreche es." Kristin umarmte ihre Tochter fest und lange.


Malvin war knapp sichtbar im Schnee, als er nach ein paar Stunden beim Klang von Hufen, Geschirr und Prusten ganz in seiner Nähe aufwachte und aufschaute. Er erblickte ein riesiges Tier mit grossem Geweih und einer leuchtend roten Nase, das sich über ihn bückte. Er wich zurück und machte einen Buckel auf dem Rücken von Wilja. "Wie geht es euch? Braucht ihr Hilfe?" fragte das grosse Tier mit nasaler Stimme und scharrte mit den Hufen im Schnee. Malvin fauchte und machte sich noch grösser und krallte sich an Wilja fest. Der Schmerz weckte sie auf und undeutlich sah sie einen fauchenden Malvin, der seitwärts in den Schnee sprang und einen grossen Buckel machte. Über sich sah sie ein rotes Licht. "Jetzt müssen wir stehen bleiben und auf einen grünen Mann warten" dachte sie langsam. "Wie geht es euch, braucht ihr Hilfe?" wiederholte die Stimme.

Ein Stück weg hörte der Corgi eine andere Stimme - eine laute, dunkle Stimme. "Warum sind wir gelandet Rudolf? Wir haben keine Zeit und müssen wieder los! Wir haben heute Abend noch viel zu tun!" "Alles in Ordnung, Chef" rief Rudolf mit der roten Nase. Nur eine kleine Änderung, Chef, dann sind wir wieder bereit." Rudolf kniete nieder. "Springt auf meinen Rücken, dann bringe ich euch in Sicherheit." Malvin überhörte die Aufforderung und hielt sich auf Distanz. Wilja war immer noch verwirrt und steif vor Kälte, machte aber einen tapferen Versuch, aufzuspringen. Und fiel gleich wieder herunter. "Noch einen Versuch, kleiner Freund." Rudolf beugte sich noch weiter hinunter und so gelang es Wilja, auf Rudolfs breiten Rücken zu kommen. "Komm jetzt Malvin" sagte sie ruhig. "Ich weiss, er will uns helfen." Malvin liess sich überzeugen, sprang auf und legte sich vor Wilja. "Und noch etwas, Katze" sagte Rudolf. "Wenn du dich an etwas festkrallen willst, dann kralle dich an mein Geschirr und nicht an meinen Nacken - hast du das verstanden?" Malvin gehorchte augenblicklich. Die beiden Rentiere hinter Rudolf hatten alles mitbekommen, verstanden aber, dass das Leittier in seiner Entscheidung souverän war, und sagten nichts. Rudolf wandte sich an alle Rentiere im Gespann und rief: "Sind alle bereit. Es geht wieder los - eins, zwei, drei!" Und mit einem Ruck flogen sie alle wieder durch die Luft. Hinter sich hörte Wilja erneut diese kräftige Stimme mit einem lachenden: "Ho, ho, ho!"

Schweigend dekorierten Kristin und Ada ihr Heim und bereiteten das Weihnachtsessen vor. Es gab nichts zu sagen. Ihre Gedanken waren nicht bei der Arbeit, die sie ausführten. Schliesslich setzte Ada sich hin und sagte: "Warum machen wir das eigentlich?" Kristin antwortete: "Wir bekommen bald Gäste. Wir haben Oma und Opa eingeladen - erinnerst du dich nicht? Und wir wollen es heute Abend doch gemütlich haben." "Ooooch!" rief Ada aus, stapfte in ihr Zimmer und knallte die Türe zu.


Wilja und Malvin hatten sich auf Rudolfs Rücken bald wieder aufgewärmt und fühlten sich besser aufgelegt. Was für eine fantastische Flugreise und Aussicht! Unter sich sahen sie grossartige Landschaften, erhellt von Städten und Strassenlampen, vorbei passieren. Mit regelmässigen Abständen landeten sie und warteten, während "Donnernde Stimme" alle die Häuser besuchte, wo Kinder wohnten. Und bald ging es weiter. Immer wieder hörten sie dieses lustige, laute Lachen. "Ich nehme an, es ist das, was Personalleiter "Promoting Successful Personal Growth and Motivation" nennen, wunderte sich Wilja .Und dann rief sie zu Rudolf: "Schau dort unten, da wohnen wir!" "Kein Problem, Corgi - wir werden gleich in der Nähe landen" antwortete Rudolf.

Nach sicherer Landung, nachdem "Donnernde Stimme" verschwunden war, um Geschenke an alle Kinder in der Umgebung zu verteilen, kniete sich Rudolf nieder und sagte freundlich: "Ihr zwei blinden Passagiere werdet bald zuhause sein. Spring jetzt runter, während der Chef einen Augenblick weg ist, und ihr werdet den Heimweg finden". Der junge Malvin sprang elegant runter und landete auf Katzenart auf allen Vieren und wartete auf Wilja. Der Corgi glitt von Rudolfs Rücken, sah dass Malvin OK war und wandte sich an Rudolf. "Danke, Rudolf. Du hast heute Abend unser Leben gerettet!" Ein kleiner Kuss auf Rudolfs leuchtend rote Nase und Wilja und Malvin verschwanden hinter einem Schneehaufen. Hier kannten sie sich aus, jetzt waren sie bald zuhause und schritten schnell voran. Plötzlich sahen sie im Schein der Strassenlampen ein gut gekleidetes Paar mittleren Alters, das in die gleiche Richtung ging wie sie selbst - sie wirkten bekannt? Ja, sie waren es! Der Corgi und der Kater rannten glücklich zu den beiden Menschen!

"Ding Dong" läutete die Türglocke. "Das müssen Mutter und Vater sein" dachte Kristin. Sie warf einen schnellen Blick auf die Türe zu Adas Zimmer, bevor sie die Haustüre öffnete. Und da standen ihre Eltern mit den sehnlichst erwünschten, liebsten und schönsten Weihnachtsgeschenken, die sie jemals gesehen hatte".

Aus der Corgi Post des norwegischen Welsh Corgi Klubs 4/2021
Übersetzung ANo mit freundlicher Erlaubnis des Autors.

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01.12.2022