Kundry, Merlins liebevolle Gefährtin

KundryWas geht in den Köpfen unserer Hunde vor? Sicher viel mehr, als wir uns in unserer zweibeinigen Überheblichkeit vorstellen können. Welch reichhaltiges Repertoire an mentalen Fähigkeiten eröffnet sich doch innerhalb einer engen, von Fürsorge und Zuwendung getragenen Rudelgemeinschaft nicht nur zwischen-hundlich, sondern auch in der Beziehung zwischen Mensch und Hundekumpan. Wer immer die Möglichkeit besitzt, seine Hunde im unmittelbaren Familienverband im Alltag zu beobachten, wird mit Überraschung die vielfältigen hundlichen Ausdrucksmöglichkeiten entdecken. Hunde gewähren uns täglich Einblicke in ihre Sinnes- und Gefühlswelt - eine kleine, scheinbar belanglose Episode möge dies veranschaulichen.

Vorausgesetzt sei zuvor, dass Merlin, der Nimmersatt, erstmals zur mengenmässig reduzierten Abendmahlzeit einen kleinen Zuschuss eines aufquellenden Futters bekam, in der Absicht, seinen Dauerappetit etwas zu dämpfen.

Üblicherweise lassen sich meine Hunde morgens, jeder in seinem Korb, in einem liebevollen Morgenritual "wecken ". Wie ich am Morgen nach der ominösen Abendmahlzeit mein Schlafzimmer verlasse, stehen beide vor meiner Türe. Merlin etwas im Hintergrund, Rute und Ohren auf Halbmast. Kundry, wie besessen wedelnd, springt eins ums andere Mal an mir hoch und versucht in höchster Aufregung mein Gesicht zu lecken.

Ahnungslos, wie ich bin, kann ich mir keinen Vers auf diesen ungestümen Gefühlsausbruch machen. Was ist nur los mit meinen Hunden? Aber ein leiser Verdacht keimt nun doch auf. Und siehe da - im Wohnzimmer prangt auf dem schönsten Teppich neben dem Esstisch ein überdimensionaler Kothaufen... das Quellfutter, natürlich!

Merlin hat sich inzwischen ins Abseits verzogen, aber Kundry wedelt beschwichtigend weiter und lässt ihren ganzen Charme spielen. Ist ja schon gut! Ich schaffe das Ergebnis dieser nächtlichen Panne stillschweigend beiseite und alle drei gehen wir zur Tagesordnung über.

Das Pikante daran war, dass das magen- und darmfüllende Futter vom Vor-Vorabend noch immer Merlins Bauch strapazierte und sich das gleiche hektische Beschwichtigungsgehabe vor meiner Türe auch am folgenden Morgen abspielte. Diesmal war ich gewitzt und machte mich ohne Kommentar sogleich auf die Socken ins Wohnzimmer und entfernte mit Schaufel und spitzen Fingern einmal mehr einen stattlichen Haufen.

Was wollte mir Kundry mit ihren eindringlichen, in ihrer Intensität so ungewöhnlichen Liebesbezeugungen mitteilen? Hat sie Merlins nächtliches Missgeschick als Verstoss gegen gute Hundesitten interpretiert und in Zusammenhang mit potentieller Strafe gebracht? Wollte sie mich wirklich ablenken und um gut Wetter bitten, in Rücksicht auf ihren unzertrennlichen Merlin? Es widerstrebt mir, ihr Verhalten nach menschlichen Massstäben interpretieren zu wollen - und dennoch kann ich nicht umhin auf sinngemässe "Gedankengänge" in ihrem schlauen Köpfchen zu schliessen. Leider wird sie es mir nie erzählen können.

Cleophea Langemann-Lavater
30 Jahre SWCK, 1999

04.06.2010