Vermisst wird ....

Was als ein normaler Samstag begann, entwickelte sich zum schlimmsten Albtraum eines jeden Hundebesitzers. Ich hatte meinen Corgi Annie bei meiner Mutter gelassen, während ich Einkäufe tätigte. Als ich sie wieder abholen wollte, erfuhr ich, dass Annie zusammen mit Jackie, dem Jack Russell Terrier meiner Mutter, vermisst wurde.
Ein Besucher hatte sich beim Hintereingang gemeldet und das Seitentor offen gelassen, während die Hunde im Garten waren. Beide entwischten und bis meine Mutter realisierte, dass sie weg waren, waren sie über alle Berge.

Was macht man in einer solchen Situation? Wo soll man suchen? Annie war etwas über 3 Jahre alt und hatte gerade eine Läufigkeit überstanden. Sie war ein ziemlich scheuer Hund und vermied Fremde, bis sie sie besser kannte.

Ich sprang ins Auto und begann die Strassen in der Nachbarschaft abzusuchen, indem ich nach ihr rief, aber von ihr und Jackie fehlte jede Spur.

Meine Mutter hatte das Mittagessen gekocht, aber mir war der Appetit vergangen. Vielleicht würden die beiden von selbst zurückkehren, also liessen wir das Seitentor offen, damit sie hereinkommen konnten.
Ich besorgte mir einen Schreibblock, Filzstifte, Reissnägel und Zeigetaschen und begann, Laufzettel zu schreiben mit der Bitte, mich anzurufen, falls jemand einen Corgi sah ("wie die Hunde der Königin", fügte ich hinzu, für diejenigen die keine Ahnung hatten, was ein Corgi ist). Danach machte ich nochmals eine Runde, um meine Laufzettel an Telefonmasten und Telefonkabinen anzubringen.
Alsdann fuhr ich wieder kreuz und quer und fragte die Leute, ob sie den einen oder anderen Hund gesehen hätten. Ohne Resultat.

Schliesslich musste ich aufgeben und ohne Annie nach Hause fahren. Es war Januar und in jener Nacht war es bitterkalt. Die Sterne glitzerten wie Juwelen und die Temperatur fiel unter Null Grad. War Annie irgend wo da draussen, unter den gleichen Sternen, frierend, hungrig und vermutlich verängstigt? Das Blut gefror in meinen Adern beim Gedanken, was ihr zugestossen sein könnte.
War sie in einen Schuppen oder eine Garage gerannt und eingeschlossen worden? Würde sie verhungern, bis sie gefunden wurde? Lag sie an einem Strasserand, überfahren von einem Auto?
War sie in die Hände eines Bösewichts geraten, der sie zu einer Welpenfarm bringen würde?

Am Sonntagmorgen rief meine Mutter an, Jackie war wieder aufgetaucht. Müde, frierend und schmutzig, wie wenn er rückwärts durch eine Hecke gekrochen wäre, fand sie ihn ganz elend vor dem Hintereingang sitzend. Aber von Annie fehlte immer noch jede Spur. Und Jackie konnte uns natürlich nicht sagen, wo wir suchen sollten.

Am Montag rief ich eine Freundin bei der lokalen Zeitung an und sie erklärte sich bereit, eine Vermisstmeldung mit Annies Foto zu bringen - die Zeitung erschien jedoch erst am Donnerstag. Dennoch, ich hatte wenigstens etwas unternommen.

Freunde halfen beim Suchen in der Umgebung des Hauses meiner Mutter und auch weiter entfernt (ich musste zur Arbeit) - während ich betete, dass das Telefon läuten und jemand sagen würde "wir haben sie".

Jede Nacht herrschte strenger Frost, der auch während des Tages nicht nachgab. Die Frostschicht wurde zu Eis. Annie konnte wohl kaum überleben, falls sie draussen im Freien war.
Es vergingen Tage und Abende mit ergebnisloser Suche. Dann erschien die lokale Zeitung und das Telefon begann zu läuten.

Eine Dame sagte, sie habe Annie in ihrem Garten gesehen. "Ich dachte zuerst, es sei ein Fuchs, aber er hatte kurze Beine. Ich erinnerte mich, dass ich in der Zeitung über Annie gelesen hatte, und rief ihren Namen. Sie sah auf, aber bis ich im Garten war, war sie verschwunden."
Der Besitzer einer Reitschule, knapp einen Kilometer vom Haus meiner Mutter entfernt, hatte sie ebenfalls gesehen. Das ergab Sinn - damals hatte ich ein Pferd und Annie begleitete mich immer zur Koppel, wo ich es hielt. Wahrscheinlich verband sie mich mit Pferden und trieb sich in ihrer Nähe herum in der Hoffnung, dass ich auftauchen würde.
Zumindest bedeuteten diese Beobachtungen, dass sie, falls es sich wirklich um Annie handelte, immer noch am Leben war. Die Gegend, wo sie gesichtet worden war, grenzt an ein gewaltiges Waldgebiet, das in einen Landsitz übergeht - ein Suchareal von enormer Grösse.

Inzwischen war seit Annies Verschwinden bereits eine Woche vergangen. Ich stapfte den ganzen Tag im Wald und in der Nähe der Reitställe umher, indem ich dauernd ihren Namen rief, aber vergeblich.
Zuletzt übermannten mich Kälte und Hunger und ich begab mich nach Hause für eine warme Suppe. Ein Freund rief an und anerbot, am nächsten Tag mit seinem ausgebildeten Suchhund nach Annie zu suchen, wenn ich eine ungefähre Idee hatte, wo sie sein könnte - ein Angebot, das ich dankend entgegen nahm.
Eigentlich wollte ich für diesen Tag Schluss machen, aber irgend etwas tríeb mich dazu, es noch einmal zu versuchen, obwohl es inzwischen stockdunkel geworden war und unter 0° Grad. Ich fuhr zurück, nahm eine Taschenlampe und durchforstete nochmals den Wald, indem ich mit regelmässigen Abständen nach Annie rief. Falls sie da draussen war, konnte sie mich vielleicht hören und versuchen, mich zu finden.
Im Wald war es vollkommen still. Kein Laut, kein Rascheln, war zu vernehmen. Schweren Herzens ging ich zurück zum Auto. Kurz bevor ich einstieg, liess ich nochmals meine Taschenlampe kreisen, um einen letzten Blick zu werfen. Da rammte der Lichtstrahl zwei hell leuchtende Punkte. Waren es Augen?
Und schon drückte sich ein kleines, rotes, pelziges Wesen an meine Beine, und gab wimmernde Laute von sich. Annie!!

Annie im Alter von 15 Jahren

Ich kann nicht beschreiben, was ich in diesem Moment fühlte, aber es ist wohl kaum notwendig. Jeder Hunde-Besitzer wird es nachvollziehen können.
Sie hatte einen enormen Durst und ihr Fell war schmutzig und voller Kletten. Sie hatte offensichtlich im Freien übernachtet, war vielleicht unter Büsche gekrochen, um etwas Schutz vor der Kälte zu finden.
Wie hatte sie die Tage verbracht? War sie rastlos herumgewandert im Versuch, mich zu finden? Oder hatte sie eine ganz angenehme Zeit verbracht und sich von ihren Instinkten leiten lassen?
Stellt euch vor: sieben Tage, meistens bei unter Null Grad, ohne Futter und nur wenig, falls überhaupt, Wasser. Der starke Frost bedeutete, dass sämtliche Pfützen gefroren waren. Sie musste am gefrorenen Gras geleckt haben, um etwas Flüssigkeit zu bekommen. Und was hatte sie gefressen? Wenn überhaupt, waren es vermutlich Pferdeäpfel (sie hatte früher eine Vorliebe dafür gezeigt). Aber egal was es war, es hielt sie am Leben.

Ich denke, aus dieser Geschichte kann man folgende Schlüsse ziehen:
1) sorge dafür, dass das Gartentor geschlossen ist;
2) Corgis sind zäher als man denkt, und
3) wenn das Schlimsste passiert, versuche es möglichst publik zu machen und höre NIE auf, zu suchen.

Annie lebte glücklich für weitere 12½ Jahre und wich nie mehr von meiner Seite.

June Green
Our Corgi World, Sommer 2010
Übersetzung ANo mit freundicher Genehmigung von Our Corgi World

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03.11.2010