Willies Eskapade

Ich bin mir nie sicher, wie intelligent Corgis eigentlich sind. Die klügsten scheinen über einen gewissen Scharfsinn zu verfügen, während die weniger begabten zumindest darum bemüht sind, es einem recht zu machen. Sie respektieren die ihnen gesetzten Grenzen und haben offensichtlich ein schlechtes Gewissen, wenn sie sie verletzt haben.

Willie, dem leider bereits im Alter von zwei Jahren ein Kotelettknochen zum Verhängnis wurde, war einer der geselligsten Hunde, die ich je gekannt habe. Er liebte seine Familie, verehrte deren Freunde und hatte ungemein feine und liebenswürdige Manieren. Nur ein einziges Mal beging er einen schlimmen Fehler. Es geschah an einem Feiertag im August, als er auf eigene Initiative und verbotenerweise sein Heim in Beaulieu (Südengland) verliess und nach Bournemouth wanderte.

Man könnte glauben, dass Willie ein Streuner war, aber nichts lag ihm ferner. Wie alle Corgis hielt er sich immer im Haus und Garten auf, ging nie weiter als ein paar Meter in den Wald, und dachte nie im Traum daran, auf eigene Faust loszuziehen. Meistens sass er auf dem mit Kies bedeckten Zufahrtsweg, mit gespitzten Ohren geduldig wartend, bis sich etwas ereignete. Alle Arten von Transportmitteln interessierten ihn, besonders Autos und Velos. Er konnte stundenlang im Auto sitzen, sogar in der Garage, und schon früh begleitete er uns in einer Kartonschachtel auf dem Gepäckträger des Velos. Wir fuhren recht oft in den New Forest zum Picknicken, und um an unseren bevorzugten Platz zu gelangen, mussten wir 2-3 km auf der ziemlich verkehrsreichen Lyndhurst Strasse fahren. Sobald wir unsere Waldabzweigung erreichten, sprang Willie aus seiner Schachtel und rannte neben den Velos. Nie liessen wir ihn auf einer befahrenen Strasse laufen.

An diesem verhängnisvollen Tag im August musste ich nach Beaulieu mit einem Brief. Ich stieg ins Auto ohne Willie, der sich irgendwo ausser Sichtweite befand, fuhr die geschwungene Ausfahrt hinunter, überquerte die Brücke und verlangsamte die Fahrt, als ich mich dem Weiderost bei der Hauptstrasse näherte. Da erblickte ich im Rückspiegel Willie, der in gestrecktem Gallop die Brücke überquerte, um das Auto einzuholen. Er hielt inne, als ich stoppte und setzte sich schuldbewusst hin. Das hatte er noch nie gemacht; er durfte das nicht, und ich marschierte mit strenger Miene zurück zur Brücke und schimpfte mit ihm. Er hörte zu und machte sich eilig auf den Rückweg mit allen Anzeichen von Schuldbewusstsein.

Nach meiner Rückkehr verging wohl eine Stunde oder etwas mehr, bevor wir Willie vermissten. Er war unauffindbar. Wir durchsuchten das Haus, den Garten, das Feld, den Wald, pfeifend und rufend. Voll düsterer Vorahnung machten wir uns schliesslich auf den Weg zur Hauptstrasse, wo immer noch reger Verkehr herrschte. Im schwindenden Tageslicht gingen wir Richtung Beaulieu, suchten den Strassengraben nach einem überfahrenen Hund ab, und kehrten schliesslich um in der Hoffnung, dass Willie inzwischen nach Hause zurück gekehrt war. Wir verbrachten eine schlaflose Nacht. Am nächsten Morgen benachrichtigten wir den Dorfpolizisten mit einer Beschreibung - junger brauner Corgirüde, leider ohne Halsband - und die New Forest Polizei machte sich an die Arbeit. Der Tag verging ohne Nachricht. Wir waren rastlos und in grosser Sorge.

Endlich, am nächsten Morgen in der Früh, klingelte das Telefon. Es war die Polizei von Hythe. Ein kleiner brauner Hund, der unserer Beschreibung entsprach, war aus dem 40 km entfernten Bournemouth gemeldet worden. Könnte es sich um unseren Hund handeln? Nein, unmöglich. Immerhin ein Hinweis war besser als keiner und wir beschlossen, loszuziehen. Man nannte uns eine Adresse am Rand der Stadt und als wir an der Haustür klingelten, ertönte ein hohes Gebell, jedoch nicht von Willie. Welche Enttäuschung. Aber dann hörten wir ein vertrautes Geräusch - das deutliche Klicken der Krallen eines Corgis auf einer Treppe mit Linolbelag. Die Tür ging auf und Willie war in unseren Armen.

Aber wie war er dorthin gekommen? Nach und nach konnte wir es nachvollziehen. Willie war offenbar fest entschlossen gewesen, dem Auto zu folgen, da er aber in Ungnade zum Haus zurückkehrte, hatte er nicht bemerkt, welche Richtung das Auto nahm. So hatte er den Weg nach rechts - die "Picknickroute" - eingeschlagen und war mit dem Verkehrsstrom stetig der Strasse entlang gerannt. Erst als er bereits rund 10 km von Beaulieu entfernt war, erschöpft und bange, war ein Autofahrer auf ihn und die Gefahr, in der er sich befand, aufmerksam geworden und drängte ihn von der Strasse ab, um ihn in Sicherheit zu bringen. Willie war jedoch inzwischen viel zu verängstigt, um sich einer fremden Person zu nähern. Aber der Fahrer und seine Frau hatten eine kleine Pudelhündin bei sich, und Willie, leicht beeinflussbar, liess sich von diesem hübschen Lockvogel überlisten und stieg ins Auto. Da sie nicht wussten, was sie mit ihm anstellen sollten, nahmen die freundlichen Retter ihn mit sich nach Hause, gaben ihm etwas zu fressen und betteten ihn zusammen mit der Pudeldame. Am nächsten Morgen riefen sie die Polizei an.

Willie machte sich nie mehr allein auf den Weg und den Rest seines kurzen Lebens hatte er eine panische Angst vor Autos, mit Ausnahme des unsrigen. Er war damals weniger als 18 Monate alt und seine Eskapade zeugte nicht gerade von einer reifen Intelligenz, aber sie hatte Methode. Sollte ich je wieder einen Corgi vermissen, werde ich nicht aufs Geratewohl suchen, sondern mir überlegen, wie ein einfaches Gemüt handeln würde. Willie hatte nicht gesehen, in welche Richtung das Auto fuhr und hatte den Weg genommen, der zum Ziel von Picknicks und Familienausflügen führte. Er lief auf der korrekten Strassenseite, genau wie ein Velo, immer in der Hoffnung, uns einzuholen. In seiner Verwirrung hatte er die Abzweigung zum Wald verpasst und rannte einfach weiter. Aber als er schliesslich von Fremden angesprochen und aufgenommen wurde, kamen ihm seine sozialen Instinkte zu Hilfe und er hatte sich als äusserst dankbarer Gast erwiesen.

Margaret Lane
Welsh Corgi League Handbook 1959
Übersetzung: ANo
April 2010

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22.06.2010