Hedydd

Im Dezember 2000 erreichte mich ein Telefonanruf von Pat Pearce in Oklahoma, mein weiblicher Guru in Hundefragen (und Züchterin von zwei meiner Pembrokes).
Da war diese ältere Cardigan-Hündin Heidi. Ihre Abstammung und Herkunft waren unbekannt, aber sie hatte kein glückliches Leben an drei, vier, vielleicht sogar fünf Plätzen hinter sich.
War in meiner Herberge Platz für noch einen Hund, wenigstens für kürzere Zeit?
Natürlich hatte ich Platz. Ich habe eine gewisse Erfahrung mit Not leidenden Hunden. Als der Anruf kam lebten fünf Hunde in meinem Haushalt. Vier davon waren "Hunde in Not" von denen drei mit mehreren Problemen zu mir kamen.

Heidis letzter Platz bei einer erfahrenen Hundehalterin war gut, aber leider erkrankte die neue Besitzerin innerhalb eines Jahres an Krebs und zog zu ihren Eltern nach Iowa, wo sie bald darauf starb.
Der Bruder, der Heidi "erbte", hatte bereits eigene Hunde und keine grosse Lust, Heidi aufzunehmen. Daher meldete er sich beim Iowa Cardigan Corgi Rescue.

Ich setzte mich mit dem Bruder in Verbindung. "Sie ist zur Zeit etwas - ähem - merkwürdig. Sie vermisst meine Schwester. Ich habe einfach keinen Platz für sie und werde sie nächste Woche einschläfern lassen, falls wir keinen Platz für sie finden. Aber keine Sorge, geben Sie ihr etwas Zeit und sie wird bestimmt ein guter Hund werden."

Wir verabredeten uns bei einem MacDonald's an der Interstate 80, was eine Fahrt von rund 100 km für jeden von uns bedeutete.
Obwohl der Bruder Heidi nicht gerade in schmeichelnden Tönen beschrieben hatte, war ich dennoch nicht auf diesen Zähne fletschenden, GROSSEN Hund vorbereitet, der mich hinter der vergitterten Tür des Vari-Kennels wütend anknurrte. Ihre Augen waren leer, ihr Fell stumpf, ihre Zähne in schrecklicher Verfassung, aber immer noch scharf.
Ich war drauf und dran, mich mit einem "Nein, danke" davon zu machen. Wie sollte ich jemals mit diesem völlig verstörten Geschöpf zurecht kommen?
Trotzdem … da war irgend etwas, ein winziger Rest von etwas Lebendigem, das sich in ihr zu regen schien …

Unter gar keinen Umständen würde ich diese Kreatur aus ihrer Box herauslassen, nicht einmal an der Leine, vorausgesetzt dass ich diese überhaupt an ihrem Halsband befestigen könnte, ohne ernsthaft verletzt zu werden.
Also wurde die Box mit samt seinem um sich schnappenden und aufgebrachten Inhalt in meinen Wagen verfrachtet. Wir mussten sie zu zweit verladen, immer darauf bedacht, den spitzen Zähen auszuweichen.
Auf der Heimfahrt versuchte sie mir dauernd zu beweisen, wie gefährlich sie war. Dass ich ein erwachsener Mann war, trug keineswegs dazu bei, sie zu beruhigen.

Als ich nach Hause kam, half mir mein Sohn die Box mit Heidi ins Haus zu tragen, wo wir sie im Gang abstellten und den Hund im Dunkeln eine Weile sich selbst überliessen.
Nach mehr als einer Stunde führte ich jeden meiner Hunde einzeln an der Box vorbei, was jedes Mal einen neuen Wutanfall auslöste.

Langsam begann ich, jegliche Hoffnung aufzugeben.
Schliesslich zog ich ein Paar lederne Arbeitshandschuhe an und darüber meine dicken ledernen Grillhandschuhe. Ich setzte mich im Dunkeln auf den Boden direkt vor Heidis Kiste. Ich sprach leise zu ihr und versicherte ihr, dass ihr keine Gefahr drohte. Sie antwortete mit Knurren. Ich sagte ihr, dass wir sie alle mochten (was nur eine kleine Unwahrheit war). Sie versuchte, ihre Schnauze durch die Gittertüre zu zwingen, um mich zu schnappen.

In der Annahme kaum ernsthaft verletzt zu werden, aber doch mit einiger Besorgnis machte ich die Türe auf. Raus schoss ein grosser, muskulöser Hund, noch immer mit schnappenden Kiefern und wütendem Geknurr … direkt in meine Arme, verzweifelt Schutz und Trost suchend. So gewaltsam war der Aufprall, dass sie mich beinahe umwarf.

Was für eine Offenbarung! Sie hatte ganz einfach eine Riesenangst. Ich erlebte Angstaggression im Nahkontakt.
Natürlich löste dieser panische Hilferuf nach Zuneigung nicht das Problem, aber er gab mir Hoffnung. Vielleicht … nur vielleicht … mit viel Arbeit und Geduld ….

Im Laufe der nächsten anderthalb Jahre wurde ich oft gebissen. Auf alle Fälle kriegte ich mehr Bisse ab als dass ich Zeichen von Zuneigung als Dank für meinen Einsatz erhielt.
Aber es gab Anzeichen, wenn auch nur gelegentliche und kleine, dass es vorwärts ging. Ihre Augen war nicht mehr so leer, ihr Fell begann zu glänzen, dank gutem Futter, viel frischer Luft und persönlicher Pflege. Aber es gab immer noch viele Zwischenfälle mit Schnappen und Knurren und es wurde mir klar, dass Heidi als Welpe an einem ihrer vielen früheren Plätze von einem erwachsenen Mann in ihrer Box misshandelt worden war. Sie zeigte bedeutend weniger Angstsymptome gegenüber Frauen.

Da meine Exfrau, mit der ich mich immer noch gut verstehe, ebenfalls Heidi heisst, musste ich für den Hund einen neuen Namen finden. Ich suchte im Internet nach einem ähnlichen, walisischen Namen und fand HEDYDD - Feldlerche. Die Seele dieses furchterregenden Geschöpfs sollte Flügel kriegen und lernen, wie eine Lerche frei aufzusteigen.
Koste es, was es wolle, sie MUSSTE lernen, wieder zu fliegen.

Trotzdem, die Angstaggressionen gingen weiter.

Schliesslich hatte ich genug. In meiner Verzweiflung rief ich Pat Pearce in Oklahoma an. Ihre ruhige Stimme gab mir, wie schon so oft, wieder Mut.
Ich erklärte ihr die Situation und was ich bisher unternommen hatte, um das Problem zu lösen. Nein, ich hatte Hedydd gegenüber nie Aggression gezeigt - ganz im Gegenteil. Nein, ich konnte nicht voraussagen, wann sie nach mir schnappen würde.
"Gut, John", sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung, "hast du versucht, ihr im Klartext zu sagen, was du von ihr erwartest? Hast du ihr erklärt, wie sie sich benehmen soll und warum?"

Dieser Rat kam von einer Frau, die in Mathematik und Wissenschaft ausgebildet ist! Und sie wollte mir weismachen, ich und ein potentiell gefährlicher Hund sollten uns gegenseitig das Herz ausschütten?
Das war ganz einfach zu viel "New Age" für mich. Mit diesem Hedydd-Geschöpf zu sprechen, als wäre ich Dr. Dolittle, der sich mit Göb-göb dem Schweinchen unterhält!!
Nun ja, … jedenfalls etwas in dieser Richtung … aber was konnte ich verlieren, ausser meiner Selbstgefälligkeit? Und war der mögliche Erfolg das Risiko wert?

An jenem Abend, als sie zusammen mit mehreren anderen Hunden auf meinem Bett Platz genommen hatte, begann Hedydd wiederum mit ihren schnappenden Kiefern und dem bösen Blick.
"GENUG JETZT!" brüllte ich, indem ich sie am Kragen packte und mit einiger Mühe auf den Rücken legte.
"Jetzt, hör mir mal gut zu! Du bist ZUHAUSE! Du bist in SICHERHEIT! Niemand wird dir JEMALS wieder weh tun, wenn ICH etwas zu sagen habe, und das HABE ich".
Und so weiter im gleichen Stil.

Erstaunlicherweise schaute sie mich mit einem verdutzten Ausdruck an, und schien tatsächlich zu verstehen, was ich sagte.

Nach einer Standpauke von vielleicht sechs oder sieben Minuten, liess ich von ihr ab, ignorierte sie, machte mich für die Nacht bereit und ging ins Bett. Sie verzog sich brummend in eine Ecke des Betts. Bis ich das Licht ausmachte.

Plötzlich war sie an meiner Seite, und rollte sich eng an mich geschmiegt zusammen. Sie gab einen TIEFEN Seufzer von sich, kuschelte sich noch etwas zurecht, legte ihre weiche Schnauze auf mein Handgelenk und schlief ein.
Soviel ich weiss, rührte sie sich während der Nacht nicht ein einziges Mal, denn als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag sie noch immer in genau der gleichen Position. Nach mehr als 18 Monaten schlief sie zum ersten Mal ruhig und voller Vertrauen in ihr neues Zuhause.

Fortan war es einfach. Sie machte all die schwere Arbeit, ich half ihr nur dabei. Mit der Zeit lernte sie zu spielen - allein, mit Menschen und mit anderen Hunden. Wenn sie am Abend vor dem zu Bett gehen von draussen rein kam, raste sie oft völlig ausgelassen die rund 9 m von der Gartentüre zum Küchenschüttstein, so dass das Geschirr in den Schränken klirrte, und mit einem Ausdruck unbändiger Freude in ihren matten Augen, während ihre Zunge aus dem zu einem Cardigan Grinsen verzogenen Maul hang. Sie liebte dieses Spiel, auch noch zwei Wochen bevor sie mich verliess, obwohl sie körperlich schon deutlich angeschlagen war.

Obwohl sie beinahe blind war, konnte sie noch immer einen Tennisball in der Luft fangen.
Niemand, der sie in diesen letzten Tagen sah, konnte glauben, dass sie jemals hässlich und aggressiv war - bis ich ihnen die Narben zeigte. Und selbst begegnete sie in dieser Zeit niemandem mehr mit Abneigung oder Misstrauen.

Sie betete mich an und war immer an meiner Seite. Einmal, als ich mich in der Stube mit einem Freund unterhielt, während Hedydd unter einem Tisch in der Nähe lag, unterbrach er plötzlich das Gespräch: "John, weisst du eigentlich, wie sehr dieser Hund dich liebt? Sie hat dich während der letzten Stunde keinen Augenblick aus den Augen gelassen". Und natürlich war die Liebe gegenseitig.

Wenn ich am Abend am Computer sass, stupfte sie oft meinen linken Ellbogen mit ihrer kräftigen Nase. Sie wollte gestreichelt werden. Ich drehte meinen Stuhl zu ihr und sie setzte ihre Vorderpfoten auf die Kante und lehnte sich an mich. Dann drückte ich sie an meine Brust, meine liebe, anhängliche Hedydd, und sie antwortete mit einem grossen wohligen Seufzer. Dann legte sie sich zufrieden wieder neben meinen Stuhl für ein Nickerchen bis zur Schlafenszeit. Ich glaube, diese Zärtlichkeiten werde ich am meisten vermissen.

Ihre Seele war wieder frei, glücklich dem Gefängnis voller Verzweiflung entronnen zu sein, konnte sie wieder frei fliegen, in der Gewissheit, immer wieder zu mir zurück kehren zu können.

Trotzdem, nach allzu vielen Jahren der Vernachlässigung und Misshandlung gab ihr Körper langsam auf. Ihre Bewegungen wurden steif und unsicher. Ihre Augen grau von Cataract. Sie verschlang ihr Futter nicht mehr wie früher, und sie verlor einige Zähne.
Und ab und zu war sie konfus. Sie kannte das Haus genau so gut wie ich meine Hosentasche - und doch, beinahe blind, konnte sie manchmal die Haustüre nicht finden. Beim Trinken konnte sie plötzlich einschlafen, mit dem Kinn im Wassernapf. Sie wurde noch wählerischer, wenn es ums Fressen ging und manchmal verirrte sie sich im Garten. Treppensteigen wurde langsam und beschwerlich.
Trotzdem, als ich im Juni 2007 für eine Notoperation ins Spital musste, hatte ich nicht erwartet, dass das Ende so schnell kommen würde.

Während meiner Abwesenheit kümmerten meine Kinder sich um meine Hunde - sie sind gerne mit den Hunden zusammen und die Zuneigung ist gegenseitig.
Zwei Tage nach meiner Operation besuchten mich meine Ex und ihr Ehemann im Spital. "John, es geht um Hedydd. Die Kinder sind in Tränen aufgelöst. Sie kann sich nicht mehr bewegen und es geht rasch bergab".

Ich konnte mich nach der Operation vor Schmerzen kaum bewegen, aber ich musste die unumgängliche Entscheidung treffen. Es war das einzig Richtige.

Und so ist sie gegangen, meine geliebte Hedydd, meine walisische Lerche.

Ich war mir bewusst, dass ich ein älteres, äusserlich nicht attraktives Geschöpf zu mir nahm. Ich tat es gerne. Ich wusste, dass sie schweres Gepäck mit sich trug, aber ich habe einen starken Rücken und konnte ihr helfen, es zu tragen. Wo andere nur eine bösartige Kreatur sahen, die abgetan werden sollte, sah ich - zumindest als eine Möglichkeit - ein Geschöpf das um eine Chance flehte.

Fast sieben Jahre waren uns zusammen vergönnt. Wir liebten uns mit einer Hingabe, die ich sonst noch nie erlebt habe.

Ich bin weder Züchter, Aussteller, Richter noch Fachmann. Mein Haus steht offen für Hunde, auch ältere, wenn niemand sie will. Oft ist es ihre letzte Chance. Es sind gute Hunde, intelligente Hunde, Hunde voller Liebe und Dankbarkeit, die nichts anderes wünschen, als für jemanden da zu sein. Der Tierarzt und ich schätzten Hedydds Alter auf 13-15 Jahre. Ich habe mein Versprechen gehalten. Niemand hat sie je wieder misshandelt und sie verdankte es mir mit ganzem Herzen.

Liebste Hedydd,
ruhe sanft und in Frieden, bis wir uns wieder sehen.
John Klaus
2007


Übersetzung: ANo

John Klaus in Mount Vernon, Iowa, hat ein Herz für Tiere. In seinem Haushalt leben mehrere Hunde und manchmal auch eine Katze, allesamt frühere Tiere in Not.

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21.01.2012